Verzicht auf Missbrauch ( Auf ein Wort – Ausgabe: 02.03.2019, GEA RT ,)
Vor wenigen Tagen ging der erste Missbrauchsgipfel im Vatikan zu Ende – alles vorbei? Das wäre fatal. In wenigen Tagen, am Aschermittwoch, »ist alles vorbei«: Karneval (lateinisch Carne vale: »Fleisch, leb wohl«), Fastnacht (die Nacht, bevor das Fasten beginnt), die närrische Zeit insgesamt. Es beginnt die 40-tägige Fasten- beziehungsweise österliche Bußzeit, wobei die Sonntage wegen des Gedenkens an die Auferstehung Jesu und das neue Leben vom Fasten ausgenommen sind; sie werden daher zu Unrecht Fastensonntage genannt. Beim islamischen Fastenmonat Ramadan, der dieses Jahr am 5. Mai beginnt, wird mit dem Sonnenuntergang das Fasten ebenfalls unterbrochen. Fasten- und Heilkuren haben wieder Hochkonjunktur, Verzicht auf Alkohol, Nikotin und Süßigkeiten – eben die Klassiker und ein profan fixiertes Denken. Im christlichen Kontext jedoch heißt Fasten: »Tut Gutes allen, helft den Unterdrückten und stiftet Frieden: Liebet euren Nächsten. Dies ist ein Fasten in den Augen Gottes «, wie es in einem Kirchenlied formuliert ist (Kath. Gesangbuch »Gotteslob«, Nr. 266, Strophe 6).
Den Unterdrückten helfen kann in diesen Tagen nur heißen: sich den Missbrauchsopfern in den Familien, Vereinen und erst recht in der überkonfessionellen Kirche zuwenden und sie entschädigen, wenn der angerichtete psychische und menschliche Schaden überhaupt noch gut zu machen ist. Die Täter belangen und vor die Gerichte bringen, denn diese Gräueltaten sind Gewaltverbrechen an Kindern, jungen Menschen und Schutzbefohlenen. Da gibt es kein Pardon, bei weltlich Verantwortlichen nicht und erst recht nicht bei sogenannten kirchlichen
»Würdenträgern«. Bußbekundungen verbaler Art helfen nicht weiter. Asche aufs Haupt! Ins Bußgewand hinein! Taten müssen folgen: das Aufarbeiten zerstörter Biografien, ein sicherer Begleitschutz im Sinne von »Betroffene begleiten« und sie »vor Tätern schützen«; dabei dürfen Amtsenthebung und Suspendierung vom kirchlichen Dienst auch vor Bischöfen, Priestern und kirchlichen Mitarbeitern keinen Halt machen. Für die christliche Kirche ist nicht nur in der Fastenzeit, sondern grundsätzlich absoluter und dauerhafter Verzicht zu leisten bei Missbrauch jeglicher Art, pervertierter Macht, Klerikalismus, Amtsgebaren und Engstirnigkeit. Das zutiefst reuige Eingestehen von Schuld, eine radikale Um- und Abkehr von Irrwegen und die Neuorientierung an der Botschaft und am Leben Jesu sind das Gebot der Stunde. Das Kirchenjahr schenkt uns diese besondere Zeit auf Ostern hin. Haben Sie den Mut, aus der Spirale des immer »Weiter so« auszubrechen und neue Akzente zu setzen: zum Beispiel nichtsnutzige Sitzungen absagen, Termine neu gewichten, sich auf Wesentliches konzentrieren, auf die Work-Life-Balance achten, sich eine Auszeit im Kloster gönnen, den Kalender für Gott frei halten und dem Nächsten in Respekt, Toleranz, Mitmenschlichkeit, Würde, Liebe und Demut dienen. Carpe diem (»Pflücke den Tag«): Nütze die Zeit!
Dekan Hermann Friedl